Ayşe Nur Koç Yılmaz ist Zahnärztin und kennt sich mit dem menschlichen Gebiss bestens aus. Jahrelang hat sie verschiedenste Krankheitsbilder im Mund- und Kieferbereich studiert. Sie kann Erkrankungen vorbeugen, sie erkennen und schließlich auch behandeln. 2017 bewirbt sich Ayşe Nur für ein Hilfsprojekt, um sich auch am anderen Ende der Welt um die Zahngesundheit von Menschen zu kümmern. Einfach so in den Flieger steigen in Richtung globalen Süden? Nein, so leicht ist das nicht.
von Nicole Nieland
Bereits 2013 engagierte sich die damalige Studentin Ayşe Nur bei Kongressen der International Association of Dental Students, kurz IADS. Vier Jahre später sollte sie ihr Engagement international ausleben können. Es wurden fünf Zahnärzt:innen gesucht, die freiwillig nach Kambodscha reisen. Denn auch im globalen Süden soll die Zahngesundheit eine größere Rolle spielen. Deutschland ist weltweit Vorreiter, was regelmäßige Zahnarztbesuche angeht. Pro 1.000 Einwohner gibt es in Deutschland 4,33 Ärztinnen und Ärzte der Allgemeinmedizin laut der World Health Organization (WHO). Doch die Realität in einem Entwicklungsland wie Kambodscha ist eine andere als in Europa oder dem globalen Norden im Allgemeinen. Denn das Land hat eine sehr schlechte Arztdichte. Auf 1.000 Einwohner kommen gerade einmal 0,17 Ärzte. Die Menschen in Kambodscha sind auf Hilfe von außerhalb angewiesen. Ayşe Nur wollte aushelfen und mit ihrer Kompetenz etwas Gutes tun. Sie bewarb sich genau wie über 300 weitere Zahnärzt:innen bei der Humble Smile Foundation.
Die Humble Smile Foundation fördert ein gesundes Leben von Menschen in Entwicklungsländern. Dabei sind die Helfer:innen global aktiv und möchten innovative und effektive Modelle der Gesundheitsförderung anbieten. Sie arbeiten im Sinne der 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung von den Vereinten Nationen. Die Humble Smile Foundation geht dabei kulturell, sozial und ökologisch sensibel vor, um auf die speziellen Bedürfnisse und Umstände jeder einzelnen Gemeinschaft eingehen zu können. So behutsam ging auch die Zahnärztin Ayşe Nur vor, als sie eine von fünf internationalen Helfer:innen wurde. Der Stiftung war es wichtig, dass ein Zahnarzt oder eine Zahnärztin ortsansässig war. Ayşe Nur vertrat Deutschland. Weitere Kolleg:innen kamen aus Russland, Jordanien und der Slowakei. Sie bildeten gemeinsam ein Team in Kooperation mit der Humble Smile Foundation.
Zwei Wochen lang besuchten sie kambodschanische Dörfer und Schulen. Ayşe Nur erlebte eine Achterbahn der Gefühle: Sie sah Dörfer, die keinen Strom hatten. Einwohner:innen, die so gut wie nichts besaßen, aber auch unfassbar glückliche Menschen. “Das war einfach wie aus einer komplett anderen Welt. Es hat definitiv seitdem meine Sichtweise auf das Leben verändert.” sagt die Zahnärztin. Ganz besonders stehe daher die Zahngesundheit, die Zahnhygiene und die gesunde Ernährung von Kindern im Vordergrund der Reise. Zweck war es, ein Bewusstsein für diese drei Ziele zu schaffen.
Für die deutsch-türkische Zahnärztin Ayşe Nur Koç Yılmaz ist Zähneputzen etwas Selbstverständliches. Plötzlich war sie jedoch im globalen Süden damit konfrontiert, dass es sogar an den wichtigsten Utensilien dafür fehlte: den Zahnbürsten. Gesundheit beginnt im Mund und deshalb verteilten sie kostenlose Zahnbürsten in Kambodscha und brachten den Kindern in der Schule bei, wie man diese benutzt. Vor Ort traf sie auf so viele interessierte Kinder, dass sie sich gemeinsam mit anderen Zahnärzt:innen aufteilen musste, um dem Andrang gerecht zu werden. Die meisten Kinder benötigten dringend einen Zahnarztbesuch und Zahnprophylaxe, bekamen Diagnosen gestellt, bekamen Füllungen oder mussten sich sogar Zähne ziehen lassen. Über 90 Prozent der Kinder, welche die Humble Smile Foundation unterstützt, haben zu Beginn der Zusammenarbeit mindestens neun kariöse Zähne.
Doch große Angst vor den Zahnärztinnen und Zahnärzten hatten die Kinder nicht, da viele noch nie Berührungspunkte mit Dentisten hatten. Ayşe Nur erzählt, dass sie sogar begeistert den Mund für sie geöffnet haben, sich vor Freude nur unruhig in der Warteschlange halten konnten und sich somit der Zustand der Zähne recht einfach feststellen ließ. Die Zahnärztin Ayşe Nur stellte anhand der Situation in Kambodscha fest, dass die Schulkinder sie etwas über ihre Angstpatient:innen lehren. “Die Phobien bilden sich noch in einem recht jungen Alter. Durch positive Zahnarzt-Erlebnisse kann man diesen Ängsten aber gut entgegenwirken und furchtlose, selbstbewusste Erwachsene schaffen. Die dann auch gerne zur Kontrolle gehen werden.” bemerkt sie.
Schlechte Ernährung und zu viel Zucker machten in einigen Dörfern von Kambodscha Karies zu einem großen Problem. Die Mehrheit trinkt jeden Tag gesüßte Getränke und isst selten pures Obst. Früchte haben die Kinder trotzdem gegessen, diese aber mit Zucker für mehr Süße verfeinert. Das erklärt, weshalb gerade einmal vier Prozent der Kinder kariesfrei sind. Laut der deutschen Krankenkasse BARMER haben hierzulande 46 Prozent der unter Zehnjährigen noch nie an Karies gelitten. Um schließlich Schlimmeres in Kambodscha zu verhindern, wurde die Stiftung aktiv und bestellte kurzerhand das ungesunde Essen in der Schulkantine ab. Es wurden viele gesunde Lebensmittel gekauft und den Kindern zur Verfügung gestellt.
Um auch den Kleinsten die Wichtigkeit der Ernährung näherzubringen, stellten die Zahnärzt:innen ein Theaterstück auf die Beine. Ayşe Nur spielte dabei eine vitaminreiche Ananas, ein Kollege übernahm die Rolle eines bösen und zuckerhaltigen Lollipops. Die Routinen der Schulkinder wurden dank der Humble Smile Foundation angepasst. Nach einem gesunden Mittagessen stand der nächste Schritt im Klassenzimmer an: das Zähneputzen. Hierfür wurden in den Klassenzimmern aus Bambus Zahnbürstenhalter installiert, damit kein Weg an der gemeinsamen Mundhygiene nach der Mittagspause vorbeiführt. Die Zahnärzt:innen brachten den Kindern näher, dass jeder zwei Mal am Tag Zähne putzen sollte. Vorbild hierfür soll der globale Norden sein, denn laut Statista putzen sich 60 Prozent der Deutschen zwei Mal am Tag die Zähne für die empfohlene Dauer von zwei Minuten.Von der Kultur und den kulinarischen Highlights des Landes erfuhr Ayşe Nur Koç Yılmaz auch etwas. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist ihr eine Delikatesse namens “Balut-Ei”. Großzügig gab man der Zahnärztin ein angebrütetes Entenei als Leckerbissen. Sie findet es wichtig, nicht nur vor Ort zu helfen und wieder abzureisen. Sie wollte mehr über das Land, die Kultur und die Menschen erfahren, ganz im Sinne der Humble Smile Foundation.
Doch egal, ob nach einem deutschen Schnitzel mit Pommes, zuckersüßen türkischen Baklava oder nach einem kambodschanischen Balut-Ei. Zähneputzen gehört dazu, egal wo auf dieser Welt. Vielen Kindern in Kambodscha ist durch Ayşe Nur der erste Zahnarztbesuch in guter Erinnerung geblieben, ein toller Erfolg für die Gesundheit und Lebensqualität.
5 Fakten über Kambodscha
– Kambodscha ist erst seit 1953 unabhängig im Rahmen der Französischen Union.
– Lehrer:innen verdienen dort umgerechnet ca. 30-40 Euro im Monat.
– Es gilt als unverzeihlich, jemanden in der Öffentlichkeit zu umarmen.
– Geburtstage werden in Kambodscha nicht gefeiert.
– Das Durchschnittsalter in Kambodscha liegt bei 21,7 Jahren.