Die Farbe von Nepal und das Grau des Voluntourismus

Junge Menschen entscheiden sich oft für Voluntourismus (Volunteer und Tourismus) mit Aussicht auf “coole, neue Abenteuer” in einem Entwicklungsland. Khai-Thai Duong war 2011 auch einer dieser Abenteurer, und reiste mit einer großen, kommerziellen Organisation an eine Schule in Nepal, wo er unterrichten sollte. Doch seine Reise verlief anders als erwartet und ließ ihn das Konzept des Voluntourismus hinterfragen. 

Der engagierte und reisende Frankfurter Khai-Thai kennt sich mit Freiwilligenarbeit in Nepal aus. Wir von 23 Grad kontaktieren ihn per Mail, und bekommen einen Einblick in sein Leben. Im Juni 2011 sendete er eine Anmeldung an eine Volunteering-Organisation, mit der Motivation, etwas zu erleben und die Lücke im Lebenslauf zu füllen. Später stellte es sich für ihn als Fehler heraus. Schon nach wenigen Wochen in Nepal schlug er all seine Pläne in den Wind und fasste eine Entscheidung. Er verweilte nicht die geplanten drei Monate in Nepal, sondern blieb von August 2011 bis März 2012 dort, um wirklich etwas zu bewirken. Nach diesen Erfahrungen startete Khai-Thai den Blog “mein-Nepal”. Auslöser all dessen: Die kritische Realität der Freiwilligen-Programme, die von kommerziellen Unternehmen angeboten werden. 

von Alisia Klöckner

Tihar: Das Festival des Lichts. Die Kerzen erhellen am dritten Tag die Häuser, sodass die Göttin Lakshmi das Haus besucht.(Quelle: privat)

Was war das Ereignis bei Deiner ersten Reise, welches das Fass zum Überlaufen gebracht hat, sodass Du nach wenigen Wochen Deine Pläne verworfen hast?

Khai-Thai: Die Verschleierung eines Tuberkulose-Ausbruchs in einer Heimschule. Drohungen und hoher Druck gegenüber Gastfamilien und Schuleinrichtungen. Verschwundene Gelder. Ausländische Mitarbeiter (meistens Mitte oder Ende 20, cool und hip) mit Studentenvisa bestückt und unter der Hand bezahlt, weil ein Studentenvisa ohne Regelstudium nur ein Jahr gültig ist. Ausländische Mitarbeiter arbeiten ohne jegliche Kenntnisse über Nepal, und sind keinerlei Hilfe für Volunteers, da sie selbst auch noch nie im Land gewesen waren und die Sprache nicht sprechen.

Was regt Dich am meisten am Voluntourismus-Konzept auf?

Khai-Thai: Dass den jungen Menschen aus Industrienationen vermittelt wird, dass sie die Menschen in Entwicklungsländer „retten“ würden. Dass Menschen in Entwicklungsländer per se als notleidende, zu rettende Bedürftige kategorisiert werden.

Worauf können Menschen achten, um nicht auf die großen Volunteering-Organisationen hereinzufallen?

Khai-Thai: Die meisten jungen Menschen möchten darauf reinfallen. Sie möchten ein Reiseerlebnis haben. Sie möchten Armut sehen und sich als Helden fühlen. Sie möchten einer internationalen, jungen, coolen Gruppe angehören, die gemeinsam Spaß hat. Sie möchten ins Ausland, weil sie in erster Linie Urlaub in einem günstigen Entwicklungsland machen möchten! Würde die Hilfe im Vordergrund stehen, müsste die Nachfrage nach Freiwilligenarbeit innerhalb Deutschlands mindestens genauso hoch sein, wie die Nachfrage nach Hilfe im Ausland.

Wir bekommen so viele Anfragen von jungen Menschen, die in Nepal helfen möchten. Nicht weil sie „helfen“ möchten, sondern weil sie „in Nepal sein möchten“.

Diejenigen, die wirkliche, echte Hilfe leisten wollen, recherchieren und lassen sich von Bildern, auf denen eine Gruppe junger, glücklicher Leute aus Industrienationen anderen helfen, nicht beirren. Bilder, die suggerieren, wie viel Spaß man gemeinsam als Reisegruppe haben wird.

Sehen die anderen “Volunteers”, mit denen Du darüber redest, die Kritik ein und hinterfragen es dann?

Khai-Thai: Ja, sie sehen und bestätigen alles, was ich ihnen sage und stimmen mir absolut zu. Sie ärgern sich in dem Moment über die „dunklen Machenschaften“ der Volunteering-Organisation. Aber nie einer hat etwas hinterfragt. Man könne es ja eh nicht ändern… Was so viel bedeutet wie: Die Organisation ist schon mies, aber die Gruppe von Menschen, die ich durch sie kennenlernen konnte, ist richtig cool. Und außerdem steht die nächste Party ja schon an.

Die Organisation, mit welcher ich unterwegs war, „organisiert“ nämlich regelmäßige Abendveranstaltungen mit allen Volunteers, um sich und andere Projekte „kennenzulernen“ – es sind Saufabende. Und sie „organisieren“ jedes Wochenende kleine Reisen in die gängigen Touristenziele. Gegen Bezahlung versteht sich. Die Preise sind dabei viel höher, als würde man es auf eigene Faust machen.

Khai-Thai läuft an Gebetsmühlen vorbei. Diese werden im Vorbeigehen gedreht, um das darauf stehende Mantra oder Gebet zu aktivieren. (Quelle: privat)

Was sind Deine Tipps bei der Recherche?

Khai-Thai:

  1. Preis?
    Mehrere Tausend Euro für einen Monat in Nepal zu helfen, ist ein Indikator, dass hier etwas gehörig schiefläuft. (Da bei jungen Menschen die Eltern zahlen, wird der Preis bei diesen nicht beachtet.)
  1. Bewerben oder Buchen?
    Bei großen Volunteering-Reiseagenturen bucht man seine Freiwilligenarbeit. Man sucht sich das Projekt seiner Wahl aus, die Zeit, hinterlässt Kontaktdaten, macht eine Anzahlung: Zack, die Reise ist gebucht.
    Bei echter Freiwilligenarbeit geht es für Organisationen darum, den/die Freiwillige/n kennenzulernen und Projektmöglichkeiten zu bieten, bei denen Volunteers je nach ihrem Kenntnisstand etwas bewirken können.
    Warum kann ein 18-jähriger Abiturient als Nicht-Muttersprachler in einer nepalesischen Schule Englisch unterrichten? Was passiert, wenn dieser 18-jährige Abiturient in eine Schule in Deutschland spaziert? Kann er dort auch einfach so unterrichten?
  1. Welche Rechtsform hat die Volunteering-Organisation? Ist es eine versteckte Reiseagentur?
    Schon wenn man die ersten Suchergebnisse durchklickt, findet man ähnlich strukturierte Webseiten. Als ob eine Reise verkauft werden soll.

Heute ist Khai-Thai der Vorsitz von hamromaya Nepal e.V., einem Verein, welcher Kindern in Nepal hilft. Er startete schon ein Jahr nach seinem prägenden Erlebnis 2011 mit sieben Freunden dieses Projekt. „hamromaya Nepal“ bedeutet „Unsere Liebe Nepal“. Neben dem Verein und Nepal-Blog führt Khai-Thai auch einen “mein-Nepal” Shop.

Wie viele Stunden wendest Du im Monat oder der Woche für hamromaya auf?

Khai-Thai: Ich stehe täglich über Messenger-Dienste mit meinen Projektpartnern in Kontakt. Aber wie bei Chats so üblich, wird dabei über alles Mögliche geredet. Auch mit einigen älteren Patenkindern bin ich regelmäßig in Kontakt.

Es ist schwer zu sagen, wie viele Stunden ich für hamromaya aufwende. Wenn ich mit meinen Freunden aus Nepal Projekte plane oder über Projekt-Updates spreche, fühlt es sich nicht nach klassischer Arbeit an. Wir schreiben ein wenig hin und her, planen ganz unbeirrt und dann machen wir es einfach. Grundsätzlich tragen meine Freunde in Nepal die Hauptarbeit. Ihre aufopferungsvolle Arbeit macht unseren Verein erst zu dem, was er ist.

Wo liegt der größte Aufwand?

Khai-Thai: Die große Arbeit liegt für mich in der Dokumentation, den Berichten, den Reportings. Mir fehlt einfach die Zeit, um dies kontinuierlich und in allen Details zu tun. Kurze Updates auf Facebook und drei bis vier Newsletter im Jahr fassen unsere Projekte in aller Kürze zusammen.

Meistens nehme ich mir im Sommer ein paar Tage Zeit, um wieder alles auf Vordermann zu bringen, wie Webseite, Reports et cetera. Zum Jahresende wird es dann richtig stressig mit den Spendenquittungen und zum Jahresanfang steht der Jahresbericht aus, für den ich auch ein paar Wochen benötige. Aber stressig ist dies nur, weil ich zu dieser Jahreszeit beruflich auch viel mehr zu tun habe.

Würde ich zum Beispiel nicht arbeiten müssen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, würde hamromaya Nepal e.V. als ehrenamtlich und unentgeltlich geführter Verein den großen Organisationen in kaum etwas nachstehen – abgesehen natürlich vom Spendenvolumen!

Was waren die größten Schwierigkeiten in Euren Projekten und wie habt Ihr diese überwunden?

Khai-Thai: Die größten Schwierigkeiten sind das Wetter, das Terrain und die Zeit. Jedes Projekt – insbesondere in den entlegenen Winkeln Nepals – ist trotz sorgfältigster Planung mit unheimlich viel Stress für uns verbunden.

In Nepal ticken die Uhren anders. Warten und zu spät kommen ist normal. Wenn etwas nicht in der geplanten Zeit machbar ist, ist es fast schon nicht schlimm. Eine Nacht mehr oder weniger in einer kleinen, eisigen Hütte ist dann auch egal.

Es gibt noch keine News von 2022. Steht es momentan etwas still?

Khai-Thai: Ganz im Gegenteil. Wir packen aktuell richtig an und haben mehrere “Dental Camps” mit einheimischen NGOs organisiert und waren auch schon wieder auf großer Schultaschenprojektreise. Auch in der von uns mitbetreuten Behindertenschule haben wir eine weitere Personalkraft, eine Physiotherapeutin, eingestellt. Ich habe einfach noch keine Zeit gefunden, um die Webseite auf den neuesten Stand zu bringen.

Du bist wegen Corona nun seit März 2020 nicht mehr in Nepal gewesen. Wirst Du, wenn es wieder möglich ist, wieder regelmäßig hinfliegen oder ist diese Zukunft noch unsicher?

Khai-Thai: Rein theoretisch hätte ich in diesem Frühjahr beziehungsweise in diesem Herbst nach Nepal reisen können. Aber da die Flugpreise so exorbitant hoch sind, habe ich mich dagegen entschieden. Ich muss nicht in Nepal sein, damit unsere Projekte laufen. Ich arbeite ja nicht in Nepal. Wenn ich in Nepal bin, besuche ich vielmehr alle Partner, Patenkinder und mache mir über alles ein aktuelles Bild für meine Reports. Wenn ich in Nepal bin, ist es auch für meinen Shop oder ganz neue Kooperationen. Die Reise ist für mich auch Urlaub.Ich bin nicht so überheblich und eitel, um zu meinen, dass ohne mich in Nepal die Welt zusammenbrechen würde. Unsere Projekterfolge und meine persönlichen Erfolge sind nur dank meiner Freunde in Nepal möglich. Sie tragen die Hauptarbeit und ihnen gebührt das Lob. Ich muss nicht in Nepal sein, damit sowohl Verein als auch Shop funktionieren. Ich reise nach Nepal, weil ich gerne in Nepal bin.

Kannst Du in einem Wort sagen, was den Zauber Nepals ausmacht?

Khai-Thai: Nepal ist Farbe.

Die Gebetsfahnen sind an vielerlei Orten in Nepal zu sehen. Die Farben sind hier nicht zufällig, sondern haben eine Symbolik. (Quelle: privat)

5 Fakten zu Nepal

– Nepal beherbergt acht der zehn höchsten Berge mit schwindelerregenden Höhen von über 8000 Meter (einer davon der Mount Everest beziehungsweise Sagarmatha in nepali).Quelle
– Die Hauptstadt Kathmandu liegt in einem ehemaligen Seebecken.uelle
– Obwohl Lumbini in Nepal der Geburtsort Buddhas ist, sind 80 Prozent der Bevölkerung Hinduist:innen.
– Nepal ist das einzige Land mit einer nicht-rechteckigen Fahne.
– In Nepal leben über 80 ethnische Gruppen, die 23 Sprachen sprechen.

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