Namibia – auf einer Fläche zweimal so groß wie Deutschland, leben gerade einmal 2,5 Millionen Menschen. Während eine weiße elitäre Oberschicht europäische Standards pflegt, führt ein großer Teil der schwarzen Bevölkerung ein Leben in Armut. Im Interview mit 23 Grad spricht Dr. Michael Armbrust über seine humanitären Projekte in Namibia, die größten Probleme des Staates und darüber, was die Entwicklungszusammenarbeit besser machen kann.
Von Kathrin Buschauer
Dr. Michael Armbrust (79) kam 1976 nach Namibia, um dort vier Jahre lang als Augenarzt zu arbeiten. Auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland blieb der Wunsch, in Namibia etwas Gutes zu tun. Es folgten zahlreiche freiwillige augenärztliche Einsätze in sogenannten Eye Camps, Operationskurse zur Vermittlung zeitgemäßer OP-Techniken vor Ort sowie Trainingsmaßnahmen für medizinisches Assistenzpersonal aus Namibia in Deutschland. Sein jüngstes Projekt ist der Bau einer Küche, eines Speiseraums und neuer Schlafstätten für die Schüler der Primary School Kwakwas und läuft über die Dr. Armbrust – Förderstiftung Deutsch Namibische Entwicklungsgesellschaft. Mit kleineren Spenden können auch Sie entscheidend zu den Erfolgen zukünftiger Projekte beitragen.
Sie haben vier Jahre lang in Namibia gelebt. Was hat Sie dazu bewegt, Ihre deutsche Heimat eine Zeit lang hinter sich zu lassen?
Dr. Armbrust: Meine Frau ist in Namibia geboren und aufgewachsen, ihre Wurzeln sind da. Also hat sie zu mir gesagt: “Wenn du mich je richtig verstehen willst, dann musst du in Afrika gelebt haben.” Ich war gerade fertig mit meiner Ausbildung zum Facharzt, und so sind wir 1976 nach Namibia gezogen. Dort hat man mir erst gesagt, man braucht mich eigentlich nicht, denn es gibt bereits einen Augenarzt – einen Einzigen für ungefähr 95 Prozent der Bevölkerung. Dann waren wir aber doch zu zweit. Diese Zeit war für mich ein großes Abenteuer.
Schließlich hat es Sie zwar zurück nach Deutschland gezogen, in Namibia waren Sie aber weiterhin mit humanitären Projekten tätig.
Dr. Armbrust: Ich bin nach Lohr gekommen und habe dort die Praxis meines Stiefvaters übernommen, aber Namibia habe ich nie ganz aus den Augen verloren. Ich habe mir vorgenommen, regelmäßig etwas Gutes für dieses Land zu tun. Mit mehreren Mitarbeiterinnen bin ich immer wieder nach Namibia gereist und habe dort Operationen durchgeführt. Manchmal haben wir bis zu 200 Patienten zusammengetrommelt und alle in einer Woche operiert. Das hat mir sehr viel Freude gemacht.
Das jüngste Projekt Ihrer Stiftung ist der Um- und Ausbau eines Schulheims. Wie sind Sie von Augenoperationen zu einer Grundschule gekommen?
Dr. Armbrust: Irgendwann habe ich mir gedacht: “Nachdem wir jetzt so viel den alten Menschen geholfen haben, ist es doch auch verdammt wichtig, den Jungen zu helfen.” Denn das Land leidet unglaublich unter einer schlechten Ausbildung. Die Arbeitslosigkeit ist das Hauptproblem im ganzen südlichen Afrika. Schulbildung ist deshalb das Allerwichtigste. Bei Schulen lässt sich der Staat allerdings ungerne reinreden, obwohl er kaum etwas für sie tut. Aber man kann Schülerheime unterstützen. Dort wohnen die Kinder während der Unterrichtszeit, da ihr eigentliches Zuhause durch die riesigen Entfernungen in Namibia oft sehr weit weg von ihrer Schule liegt.
Was genau meinen Sie, wenn Sie sagen, dass sich der Staat Namibia nicht gerne reinreden lässt, wenn es um die Schulen geht?
Dr. Armbrust: Der Staat sagt, dass er diese Schulen und Heime unterstützt, vor allem was die Verpflegung der Kinder angeht. Aber diese Unterstützung umfasst gerade einmal 20 namibische Rand pro Woche pro Kind. Das sind etwas weniger als ein Euro für Mahlzeiten für sieben Tage. Die Kinder sind deshalb zu 100 Prozent darauf angewiesen, dass sie die notwendige Unterstützung von anderswo erhalten. Als wir das Projekt vor sieben, acht Jahren begonnen haben, haben die Kinder im Freien auf dem Boden unter einem Baum gegessen. Es gab einen einzigen schwarzen, großen Eisentopf für alle, unter dem Feuer gemacht wurde und zu essen gab es eigentlich nur Maisbrei. Sie hatten keine Löffel, keine Gabeln, nichts. Jetzt haben wir ihnen einen Speisesaal und eine Küche gebaut.
Die Weltbank stuft Namibia in die Gruppe der Länder mit höherem mittlerem Einkommen ein. Das heißt im Jahr 2021 betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Namibia geschätzt rund 4.842 US-Dollar. Das klingt ja auf den ersten Blick gar nicht so schlecht, oder?
Dr. Armbrust: Wie solche Zahlen zustande kommen, weiß ich nicht genau, aber die, die ein ausreichendes Einkommen haben, sind definitiv nicht die Mehrheit. Der Großteil der Bevölkerung hat kein ausreichendes Einkommen um normal leben zu können, ein Dach über dem Kopf zu haben und keinen Hunger leiden zu müssen. Sehr viele junge Menschen ziehen nach Windhuk, haben dort dann aber keine Arbeit und kein Geld. Das ist ein Ergebnis der enormen Landflucht.
Was verursacht diese Landflucht, warum wollen die Menschen nicht auf dem Land bleiben?
Dr. Armbrust: Namibia lässt sich mit keinem anderen Agrarland vergleichen. Das Land ist 2.000 Kilometer lang. Ackerbau kann man nur in den oberen 50 Kilometer betreiben, sonst ist dort nichts. Es gibt nur zwei Flüsse, die Wasser tragen – das sind der nördliche Grenzfluss und der südliche Oranje. Alle anderen Flüsse fließen nur stundenweise, wenn es genug geregnet hat. Keiner will also aufs Land und mühsamen Ackerbau oder Viehzucht betreiben. Alle drängen in die Städte, dadurch herrscht dort aber auch wahnsinnig viel Elend und Kriminalität.
Namibia hat von 1990 bis 2020 über 1,4 Milliarden Euro Entwicklungsgelder und damit die bislang höchsten Pro-Kopf-Zuwendungen deutscher Entwicklungshilfe weltweit erhalten. Wieso ist die Situation dann trotzdem noch so kritisch?
Dr. Armbrust: Ein ganz großes Problem ist die Korruption. In dem Moment, in dem Geld fließt, fließt es nicht dahin, wo es hin soll. Gelder einfach nur an die Schulverwaltung oder ein Ministerium zu geben, ist völlig sinnlos. Diese Gelder verschwinden, so ist es leider. Und wenn sie zweckgemäß verwendet würden, dann fließen sie durch die ethnische Aufteilung in Namibia lediglich zu der größten Stammesgruppe, den Ovambos. Also selbst wenn das Geld nicht in Korruption verschwindet, würde es damit oftmals in Gegenden fließen, die ohnehin genug haben. Für die Gesamtbevölkerung sehe ich in diesem Zusammenhang keine Besserung. Denn für die einfachen Leute bleibt nichts hängen. Trotzdem kann Afrika das nicht von sich aus schaffen. Es müssen Investitionen aus dem Ausland getätigt werden.
Post-Development-Ansätze kritisieren, dass Entwicklungszusammenarbeit lediglich ein westlicher Maßstab ist, der nicht einfach eins zu eins auf andere Länder angewandt werden kann. Ist Entwicklungszusammenarbeit damit hinfällig?
Dr. Armbrust: Nein, denn für gelungene Entwicklungszusammenarbeit gibt es auch positive Beispiele, wie Botswana. Botswana hat einen sehr hohen Lebensstandard, nicht was wir uns darunter vorstellen im Sinne von teuren Autos oder Ähnlichem, aber dort muss niemand hungern, alle haben eine gute Schulbildung, die Kinder lernen Englisch, sie haben Frieden und einen super Edeltourismus.
Was muss Entwicklungshilfe besser machen, damit sich in Namibia etwas ändern kann?
Dr. Armbrust: Ganz ehrlich: Ich kann es nicht sagen. Auf jeden Fall wären aber Ausbildungsmöglichkeiten wichtig. Dann würden sich vielleicht auch neue Firmen ansiedeln und so wiederum Arbeitsplätze schaffen, denn momentan verlassen eher viele große Unternehmen das Land. Aber nur Geld nach Namibia zu schicken bringt gar nichts. Auch Entwicklungshilfe nicht – zumindest in der Form, wie sie bisher gemacht wurde.
5 Fakten zu Namibia
– Namibia hat eine Fläche von 824.292 km² und ist damit zweimal so groß wie Deutschland
– Gerade einmal 2,5 Millionen Menschen zählt der südafrikanische Staat, allein 450.000 davon leben in Windhoek, der Hauptstadt Namibias
– Der Name Namibia leitet sich von Namib ab, der ältesten Wüste der Welt an der Südwestküste Afrikas.
Namib bedeutet übrigens so viel wie “große Leere” – sehr treffend, wenn man bedenkt, wie dünn besiedelt Namibia tatsächlich ist.
– Mehr als 30 Einzelsprachen und Dialekte sind in Namibia vertreten, ein Ergebnis der großen ethnischen Vielfalt des Staates
– Von 1884 bis 1915 war Namibia eine deutsche Kolonie, das ist unter anderem ein Grund dafür, dass Namibia die bislang höchsten Pro-Kopf-Zuwendungen deutscher Entwicklungshilfe weltweit erhält.