Um uns über ferne Länder und ihre Menschen zu informieren, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder reisen wir selbst dorthin oder wir lesen Berichte von anderen, die bereits dort waren. Aber wie glaubhaft sind die Auslandsberichte von Journalist:innen wirklich? Deshalb haben wir uns von 23 Grad mit Ethnologe Sylvestre Kouakou unterhalten, der aktuell deutschsprachige Sachbücher über Afrika untersucht.
Von Steffen Buchmann
Konan Ange Sylvestre Kouakou wuchs in Bouaké, der zweitgrößten Stadt der Elfenbeinküste, auf. Nach seinem Abitur studierte er Germanistik bis zum Masterabschluss und kam danach an die Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Dort promoviert er aktuell in Ethnologie zum Thema „Die Kultur Afrikas und ihre Wahrnehmung im deutschsprachigen Sachbuch seit der Dekolonisierung am Beispiel populärer Bücher“.
(Quelle: privat)
Wie sind Sie darauf gekommen, deutschsprachige Bücher über Afrika zu untersuchen?
Kouakou: Die ersten Berührungspunkte mit der Thematik hatte ich während eines Auslandssemesters an der Universität Bamberg. Wir unternahmen eine Exkursion nach Nürnberg, um uns die Stadt näher anzuschauen. Während des Rundgangs behauptete die Touristenführerin plötzlich, dass es an der Elfenbeinküste und in Afrika generell keine Eichhörnchen gäbe und die Menschen dort größtenteils nur mit „Kinder machen“ beschäftigt seien. Auf meine Nachfrage hin verwies sie auf mehrere Artikel und Reportagen, die sie im Internet gelesen hat. Diese Desinformationen überraschten mich sehr, weshalb ich beschloss, mich näher mit der Darstellung Afrikas in deutschen Medien und vor allem Reisereportagen zu beschäftigen.
Es gibt sicherlich zahllose Reisebücher über Afrika aus den letzten Jahrzehnten. Auf welchen Veröffentlichungszeitraum haben Sie sich beschränkt?
Kouakou: Ich habe mich für meine Untersuchungen auf Publikationen seit den 1970er-Jahren bis heute festgelegt.
Und auf welche Autor:innen sind Sie hierbei gestoßen?
Kouakou: Da ich mich hauptsächlich auf populäre Werke fokussiere, habe ich nach Autoren und Korrespondenten mit großer Öffentlichkeitswirkung gesucht. So wie etwa Peter Scholl-Latour, Bartholomäus Grill, Rupert Neudeck oder David Signer. Insgesamt habe ich 22 Sachbücher mit dem Themenschwerpunkt Afrika gelesen.
Auf dem afrikanischen Kontinent leben über 1,3 Milliarden Menschen in über 50 verschiedenen Ländern. Daher ist es schwierig, von „der“ afrikanischen Kultur zu sprechen. Auf welche Länder gehen die Autoren denn am häufigsten in ihren Berichten ein?
Kouakou: Im Fokus stehen meist Länder aus Subsahara-Afrika. Auf Berichte über nördliche afrikanische Länder wie Ägypten oder Libyen bin ich während meiner Recherchen kaum gestoßen.
Welche Darstellungsprobleme haben Sie in diesen Büchern festgestellt?
Kouakou: Beispielsweise habe ich in Büchern wie Scholl-Latours „Afrikanische Totenklage – Ausverkauf des Schwarzen Kontinents“ [2001] bemerkt, dass er oft Themen wie Katastrophen, Kriege, Kriminalität oder Korruption behandelt. Das ist allerdings eine einseitige Art, die Korrespondenten jedoch immer noch oft beim Berichten über Afrika benutzen. Diese sogenannten „K-Themen“ tauchen etwa auch im Buch „Hundert Jahre Finsternis – Afrikanische Schlaglichter“ [2005] des SZ-Redakteurs Michael Bitala auf. Überrascht hat mich auch die Darstellung Afrikas im Buch „Afrikanisches Fieber: Erfahrungen aus vierzig Jahren“ [2007] des polnischen Journalisten Ryszard Kapuściński, dessen Buch voller klischeehafter Schilderungen über afrikanische Begräbnisrituale oder die allgemeinen Lebensbedingungen steckt. Da habe ich mir die Frage gestellt: „Kennt dieser Mann eigentlich Afrika?“
Der deutsch-französische Autor Peter Scholl-Latour war zeitlebens ein gefragter Interview- und Talkshowgast und veröffentlichte insgesamt über 30 Bücher mit einer Gesamtauflage von rund 10 Millionen Exemplaren. Nun haben Sie herausgefunden, dass seine Darstellungen oft einseitig oder vereinfacht waren. Was macht das mit der Wahrnehmung der deutschen Leser:innen von Afrika?
Kouakou: Wenn ich Deutscher wäre und nur solche Bücher über Afrika lesen würde, würde ich mir den Kontinent überwiegend mit armen Menschen, korrupten Politikern und tristen Kriegsgebieten vorstellen. Natürlich spielen diese Themen eine Rolle für viele Afrikaner, jedoch vermisse ich bei vielen Autoren eine genauere Recherche und ausgewogenere Berichterstattung. Bartholomäus Grill versucht etwa in seinem Werk „Ach, Afrika: Berichte aus dem Inneren eines Kontinents“ [2003] auch positive Aspekte Afrikas miteinzubeziehen. So geht er etwa auf die Lebensfreude der Menschen, Einzelpersonen mit besonderen Talenten oder das Potenzial der afrikanischen Wirtschaft ein.
Das größere Problem sehe ich jedoch darin, dass sich ein Großteil der Deutschen wenig bis gar nicht für Afrika interessiert. Das hängt vor allem mit der Zeit nach der Dekolonisierung zusammen. Anders als etwa England oder Frankreich besaß Deutschland nur sehr kurz afrikanische Kolonien, sodass die kulturhistorische Bedeutung und Aufarbeitung lange Zeit vernachlässigt wurden. Auch als Urlaubsziel scheint Afrika für viele Deutsche uninteressant. Höchstens Südafrika oder nordafrikanische Länder wie Marokko oder Ägypten kommen für manche infrage. Dort gelten jedoch meist europäisch angepasste Touristenstandards, was wenig mit dem echten Afrika und seiner Kultur zu tun hat.
Wie können wir das in Zukunft ändern?
Kouakou: Das fängt bereits in der Schule an. Afrika wird im Schulunterricht immer noch zu oberflächlich und unreflektiert behandelt, wie ich beispielsweise in einem Bericht der Erziehungswissenschaftlerin Dr. Anke Poenicke [„Afrika in deutschen Medien und Schulbüchern“, 2001] gelesen habe. Auch sollte es mehr geförderte Austauschprogramme zwischen deutschen und afrikanischen Schulen geben, um Vorurteile sowie Ängste abzubauen und mehr interkulturellen Austausch zu fördern.
Es müsste sich aber auch etwas an der Arbeitsweise von Journalisten und Autoren ändern. Zu oft werden noch ausschließlich schlechte Ereignisse in den Nachrichten erwähnt. Es ist zwar wichtig, auf das Kriegsgeschehen oder auf Korruptionsfälle in afrikanischen Ländern einzugehen. Um deutschen Lesern jedoch ein ausgewogeneres Bild des Kontinents zu vermitteln, müssten auch positive Entwicklungen stärker in den Medien vertreten sein.
Außerdem denke ich, dass sich Auslandskorrespondenten für afrikabezogene Themen gründlicher und vielfältiger vorbereiten sowie gründlicher recherchieren müssten. Da scheitert die Recherche oft schon an der Verständigung. An der Elfenbeinküste beispielsweise leben über 60 Ethnien mit eigenen Sprachen. Französisch ist zwar die Amtssprache, zwei der geläufigsten Landessprachen sind jedoch Dioula und Baoulé. Doch die meisten Korrespondenten beherrschen nur Englisch oder Französisch, was zu Missverständnissen und Ungenauigkeiten im Austausch mit den afrikanischen Menschen führt.
Haben Sie auch Bücher entdeckt, die Sie wegen ihres Inhalts positiv hervorheben oder empfehlen können?
Kouakou: Hier fallen mir zwei Bücher ein, die ich empfehlen kann. Einmal Bartholomäus Grills „Ach, Afrika: Berichte aus dem Inneren eines Kontinents“ [2003] oder auch Rupert Neudecks „Die Kraft Afrikas: Warum der Kontinent noch nicht verloren ist“ [2010]. Bei beiden Büchern ist mir positiv aufgefallen, dass die Autoren versuchen, ein umfassendes und ehrliches Bild des Kontinents zu beschreiben und sich nicht nur auf die K-Themen beschränken.
Herzlichen Dank, mir diese Ehre gegeben zu haben, mein Thema bei Ihnen darzustellen.