Es steht nicht gut um die Menschenrechtslage Nicaraguas. Das politische Klima erschwert die Arbeit des Vereins Städtefreundschaft Frankfurt-Granada. Wir haben uns mit Reinhold Dallendörfer und Birgit Koch-Dallendörfer getroffen. Das Ehepaar sprach mit uns über die Arbeit ihres Vereins und die Herausforderungen der aktuellen Situation Nicaraguas.
Von Mustafa Shrestha
Die Städtepartnerschaft zwischen Frankfurt und Granada hat vergangenes Jahr ihr dreißigstes Jubiläum gefeiert. Der Verein Städtefreundschaft Frankfurt-Granada setzte sich für das Zustandekommen der Partnerschaft ein und erfüllt sie seither mit Leben. Reinhold Dallendörfer und Birgit Koch-Dallendörfer sind Gründungsmitglieder des Vereins. Zweimal im Monat treffen sie sich, um über Projekte in der Partnerstadt Granada zu sprechen.
Der Verein wurde 1989 mit dem Zweck gegründet, eine offizielle Städtepartnerschaft zu erreichen, so Koch-Dallendörfer. Der Wechsel zu einer rot-grünen Stadtregierung zeichnete sich bereits ab, erinnert sich ihr Mann. Zum Wahlkampf versprachen die Parteien, der Forderung des Vereins nachzukommen, falls sie gewinnen sollten. Nach dem Wahlsieg wurde die Städtepartnerschaft dann tatsächlich im Koalitionsvertrag festgehalten. Die Verträge hierfür wurden am 14. Januar 1991 in Granada unterzeichnet.
Koch-Dallendörfers letzter Berechnung zufolge konnte der Verein in seiner 33-jährigen Geschichte 1,96 Millionen Euro für gemeinnützige Projekte in Granada mobilisieren. Alle Projekte der Städtepartnerschaft werden von ihrem Verein vorgeschlagen. “Wir haben das Vertrauen der Stadt, dass wir das gut machen”, sagt Dallendörfer. Der Großteil der Mittel stammt aus öffentlicher Hand. Die Stadt Frankfurt finanziert die Mehrzahl der Projekte, während das Bundesentwicklungsministerium die größeren Vorhaben stemmt. “In den vergangenen Jahren haben wir auch nie ein Projekt abgelehnt bekommen”, fügen sie hinzu.
“In Granada kennt jeder Charly Steinmaier”
Die Ideen für die Projekte stammen alle von ihren Partnern aus Granada. Die nicaraguanische Zivilbevölkerung trägt sie zumeist an Charly Steinmaier heran. Er ist der verantwortliche Projektleiter vor Ort und lebt bereits seit 1987 in Granada. Der Verein in Frankfurt entscheidet jedoch, ob er ein Projekt tatsächlich fördern möchte. “Es funktioniert nicht, wenn sich jemand aus der Ferne etwas ausdenkt, ohne die Menschen vor Ort zu beteiligen”, erklärt Dallendörfer. Das Ehepaar reist deshalb jedes Jahr nach Granada, um sich einen Überblick zu verschaffen. Zuletzt im Februar dieses Jahres. Dort sprechen sie mit den Menschen vor Ort über die Projekte. “Ohne das Arbeiten auf Augenhöhe läuft es nicht”, so Koch-Dallendörfer.
Die Kooperation mit der Freiwilligen Feuerwehr in Granada besteht bereits seit über 20 Jahren.
Im Jahr 1998 wurde Nicaragua von Hurrikan Mitch verwüstet. Das war der tödlichste Hurrikan seit 1780. “Die Feuerwehr in Granada erwies sich während der Katastrophenabwehr als sehr effektiv”, erinnert sich Dallendörfer. Aus dieser Erfahrung heraus entschied sich der Verein, die Freiwillige Feuerwehr der Partnerstadt zu fördern. Die Stadt Frankfurt unterstützte eine dreijährige Ausbildungsreihe in Kooperation mit der Frankfurter Berufsfeuerwehr. “Durch das Programm haben sich Kontakte zwischen Kollegen der Partnerstädte gebildet”, erklärt Dallendörfer. Die Frankfurter Einsatzkräfte seien von den Problemlösefähigkeiten der Feuerwehrleute in Granada beeindruckt gewesen. Schließlich verfügten sie nur über begrenzte Mittel.
Ein weiterer fester Partner vor Ort ist Claudia Chamorro, das Frauenzentrum in Granada. 1991 stellte Frankfurt 20 Schreibmaschinen für die Sekretärinnenausbildung zur Verfügung. “Im Jahr 2000 stiegen sie anschließend auf Computer um”, erinnert sich Koch-Dallendörfer. Dieses Jahr sollen wieder neue Computer angeschafft werden. Frauen spielten in der nicaraguanischen Revolution eine tragende Rolle. Sie ergriffen als Guerillakämpferinnen die Waffen und stellten die traditionellen Geschlechterverhältnisse infrage.
“Früher gab es überhaupt keine Sonderpädagogik in Nicaragua”
Besonders stolz ist das Ehepaar auf das Engagement an der Vorschule “Coro de Angeles”. Die Schule ist barrierefrei und inklusiv. “Kinder mit Behinderungen sind dort immer liebevoll aufgenommen worden. Jedoch fehlte den Lehrkräften die Ausbildung, um den besonderen Bedürfnissen ihrer Schüler gerecht zu werden”, erklärt Dallendörfer. Über die Städtepartnerschaft konnten die Lehrenden weitergebildet werden. Die Stadtteilschule ist überwiegend öffentlich. Jael Concepción Lira Arévalo, die Direktorin der Schule, bezieht ihr Gehalt vom gemeinnützigen Verein Tortuga-Nicaragua.
Warum Nicaragua? Für Reinhold Dallendörfer ist die Antwort klar: “1979 hat sich Nicaragua aus eigener Kraft von dieser über 40-jährigen Somoza-Diktatur befreit. In Deutschland haben wir das nicht geschafft. Ohne den massiven Eingriff der Alliierten wäre 1945 der Spuk nicht zu Ende gewesen.” Das beeindruckte Dallendörfer. Mit diesem Gefühl stand er offenbar nicht alleine da. Das Ehepaar berichtet von einer großen Aufbruchstimmung zu der Zeit. Graswurzelbewegungen seien sehr willkommen gewesen. Die Projekte des Vereins wurden zu Beginn der Partnerschaft noch zu großen Teilen aus Spenden finanziert. “Im Moment gehen die Spenden stark zurück. Nicaragua interessiert zurzeit kein Mensch. Das war früher anders”, erklärt er.
“Es ist eine Diktatur, anders kann man das nicht nennen”
Die Menschenrechtslage in Nicaragua ist alarmierend. Im Jahr 2018 kam es zu Massendemonstrationen gegen die Regierung von Staatspräsident Daniel Ortega. Bei den gewaltsamen Protesten verloren hunderte Menschen ihr Leben. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter Ohne Grenzen belegt Nicaragua mittlerweile Platz 160. Der zentralamerikanische Staat liegt somit selbst hinter Ländern wie Russland und Afghanistan.
“Ley de Agentes Extranjeros” ist das neue nicaraguanische Gesetz für sogenannte “ausländische Agenten” – es richtet sich gegen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Geld aus dem Ausland beziehen. Diese Organisationen werden von der Regierung strikt beobachtet. Seit den Protesten 2018 wurden 336 NGOs verboten.
Die politische Lage erschwert auch die Arbeit des Vereins Städtefreundschaft Frankfurt-Granada. “Wir bringen unsere öffentlichen Gelder in der Hosentasche mit”, erklärt Koch-Dallendörfer. “Man kann legal bis zu 10.000 Dollar einführen, da es nur 100-Dollar-Scheine gibt, kann man sich ausrechnen, wie schnell man da auf dicke Bündel kommt”, fügt ihr Mann hinzu.
Der Verein hat durch die Repressalien der Regierung langjährige Partner in Granada verloren. Eine solche Partnerin war Vilma Núñez. Ihre Organisation Nicaraguan Center for Human Rights (CENIDH) war laut Dallendörfer eine der effizientesten NGOs im Land. Im Jahr 2018 wurde der Organisation der juristische Status aberkannt. Die Polizei stürmte die Büroräume. Einige frühere Funktionäre der NGO sahen sich gezwungen, ins Exil nach Costa Rica zu fliehen.
Reinhold Dallendörfer ärgert das Ende einer anderen Organisation besonders: Die Initiative Corazón Contento betreute in Granada Kinder und Jugendliche mit Behinderungen. Einige Kinder aus der Projekt-Vorschule Coro de Angeles besuchten am Nachmittag Therapieangebote der Organisation. Nachdem die Kinder die Schule abgeschlossen hatten, wurden sie oft noch bis zum Berufseinstieg von Corazón Contento begleitet. Der politische Druck wurde auch ihnen zu groß. “Die haben das jetzt eingestellt, weil sie einfach diese ganzen Sachen nicht mehr handeln konnten. Das ist ein Jammer!”, sagt Dallendörfer.
Der Verein möchte sich nicht politisch vereinnahmen lassen. “Wir haben immer schon vermieden, viel mit offiziellen Stellen zu machen, auch als es noch gut war”, erklärt Dallendörfer. Der Verein versuche, möglichst mit den Begünstigten ihrer Projekte zusammenzuarbeiten. Oft bildeten die Menschen vor Ort Komitees, über die sie ihre Mitsprache an den Projekten organisierten und halfen tatkräftig mit. “Für manche Dinge wie einen Stromanschluss braucht man offizielle Kontakte, doch die haben wir immer so gering wie möglich gehalten und damit sind wir eigentlich immer gut gefahren”, führt er aus.
Trotz der schwierigen Menschenrechtssituation in Nicaragua wird Frankfurt an der Städtepartnerschaft festhalten, ist sich das Ehepaar sicher. Der deutsche Botschafter in Nicaragua soll ihnen gegenüber signalisiert haben, dass die Kontakte zwischen den Zivilbevölkerungen erhalten und gefördert werden sollen. Die nicaraguanische Regierung hingegen möchte keine Einmischung aus dem Ausland. Dennoch glaubt er nicht, dass Granada erwägt, die Partnerschaft zu beenden.
Reinhold Dallendörfer führt ein aktuelles Beispiel an: Zum 30-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft wurden vom Frankfurter Künstler Justus Becker und Robert Barberena de la Rocha, einem Künstler aus Granada, ein Wandbild an der Frankfurter Konstablerwache erstellt. Das gleiche Wandbild sollte auch in der Partnerstadt angefertigt werden. Bei seinem Granada-Besuch im Februar sprach der Verein mit dem Bürgermeister der Partnerstadt über das geplante Kunstwerk. Das Gespräch soll sehr positiv verlaufen sein, doch eine konkrete Zusage blieb über viele Monate aus. Reinhold Dallendörfer erklärt sich die Verzögerung so, dass der Bürgermeister wohl erst den Segen aus der Hauptstadt einholen musste. Vor zwei Wochen kam dann doch endlich die erhoffte positive Antwort. Das Wandbild kommt!
5 Fakten über: Nicaragua
- Granada ist die drittgrößte Stadt Nicaraguas und liegt am Nicaraguasee.
- Der Großteil der Bevölkerung Nicaraguas sind Mestize und haben somit europäische und indigene Wurzeln.
- Spanisch ist nicht die einzige offizielle Amtssprache Nicaraguas. An den Küstenregionen im Osten des Landes werden auch die Sprachen Miskito, Sumu, Rama und Kreol Englisch anerkannt.
- Nicaragua besetzt beim Demokratieindex Platz 140 von 167 und gilt somit als autoritäres Regime.
- Nicaragua ist das einzige lateinamerikanische Land das eine Kolonialgeschichte mit Spanien und England teilt.