Einmal weit weg von zu Hause sein, ein fremdes Land bereisen, eine neue Sprache lernen und eine fremde Kultur erkunden. Au-pairs leben den Traum vieler junger Menschen. Der Kulturaustausch erfolgt jedoch nicht immer reibungslos.
Von Mustafa Shrestha
Endlich das Abi in der Tasche, doch was nun? Viele junge Menschen möchten sich nach ihrem Abitur nicht sofort in ein Studium stürzen. So geht es auch Jenna Abrahams. Die 20-jährige Südafrikanerin wollte dem Hamsterrad des Bildungssystems für ein Jahr entkommen. Sie wollte gerne eigenständig verreisen, erzählt sie uns. Weit weg von zu Hause erhoffte sie sich Gedanken über ihre Zukunft machen zu können, ohne von den Erwartungen ihrer Eltern und Freund:innen beeinflusst zu werden. Durch den Französischunterricht an ihrer Schule war ihr Interesse an Land und Leuten dieser Sprache bereits geweckt. Jenna entschied sich deshalb für einen Au-pair-Aufenthalt in Frankreich.
Der Begriff Au-pair stammt aus dem französischen und bedeutet “auf Gegenseitigkeit”. Im 19. Jahrhundert reisten junge Frauen aus England und der Schweiz nach Frankreich. Ziel war neben dem Lernen der Sprache, auch die Vorbereitung auf ihre künftige Rolle als Hausfrau und Mutter.
Heute dient das Au-pair-Programm vielen jungen Leuten als Gelegenheit zu verreisen, eine neue Kultur und Sprache kennenzulernen. “Auf Gegenseitigkeit” bedeutet, dass beide profitieren sollen. Der Auslandsaufenthalt soll nicht nur den persönlichen Erfahrungshorizont junger Menschen erweitern, sondern auch den Gastfamilien zugutekommen. Sie gewinnen eine “große Tochter” oder einen “großen Sohn” auf Zeit. Das Au-pair entlastet die Gasteltern bei der Kinderbetreuung und im Haushalt. Der Arbeitsumfang, freie Tage und ein kleines Taschengeld werden meistens schriftlich vereinbart. Eine Win-win-Situation für beide Parteien, wenn alles gut läuft.
Die mediale Berichterstattung zum Thema Au-pair war in den vergangenen Jahren überwiegend negativ. Zumeist handelt es sich um Horrorgeschichten, in denen Gastfamilien das Au-pair ausbeuten und junge Mädchen weinend im Ausland stranden. Der Bundesagentur für Arbeit liegen keine Zahlen zur Häufigkeit solcher Fälle vor. Judith Liehr vom Verband Aupair Society e.V. erklärte gegenüber Deutschlandfunk Nova, dass solche Fälle eher die Ausnahme darstellen. Sie kämen eher vor, wenn sich Au-pairs und Gastfamilien über Internetplattformen finden. Seit 2002 gibt es in Deutschland keine Lizenzpflicht für Au-pair-Agenturen mehr und damit auch keine Kontrollen durch das Familienministerium. Ein Gewerbeschein reicht völlig aus, um Gastfamilien und Au-pairs zu vermitteln.
Jenna Abrahams ist seit Februar diesen Jahres als Au-pair in Frankreich. Sie hat ihre Gastfamilie über AuPairWorld gefunden. Das deutsche Unternehmen ist die größte Vermittlungsplattform für Au-pairs und Gastfamilien im Internet. Ihre Gastfamilie hielt sich an die vereinbarten Arbeitszeiten und die Bezahlung. Jenna war dennoch unglücklich, erzählt sie uns. Sie fühlte sich oft nicht von der Familie eingebunden. An manchen Tagen wurde sie nicht einmal von den Gasteltern gegrüßt. Sie befürchtete, dass sie nicht die Au-pair-Erfahrung machen würde, die sie sich gewünscht hat. Sie wollte sich gerne als Familienmitglied auf Zeit fühlen. Jenna hat das Gespräch mit den Gasteltern gesucht. “Danach veränderten sich die Dinge ein wenig für die nächsten zwei oder drei Tage”, erinnert sie sich, doch die Veränderungen waren nicht von Dauer.
Djeneba Bagayoko war ebenfalls unglücklich mit ihrer Gastfamilie. Die Italienerin mit Wurzeln in Mali und im Senegal war vom Herbst 2015 bis Sommer 2016 als Au-pair in Rheinland-Pfalz, um ihr Deutsch zu verbessern. Die 29-Jährige fand ihre Gastfamilie ebenfalls über AuPairWorld. Djeneba sprach mit uns über ihre Erfahrungen mit Rassismus während ihres Au-pair Aufenthalts.
Die meisten ihrer Erfahrungen seien sogenannte Mikroaggressionen gewesen. Das sind subtile und abwertende Äußerungen. Sie werden meist unbewusst getätigt, da viele Menschen nicht für sie sensibilisiert sind. “Sie sprechen aber gut Deutsch” und “Wo kommst du her?” sind zwei der häufigsten Beispiele für harmlos wirkende Fragen, welche jedoch als Mikroaggressionen empfunden werden können. Leider waren nicht alle Erfahrungen von Djeneba so subtil.
Die Silvesternacht im Dezember 2015 sorgte bundesweit für Empörung. Hunderte Frauen wurden an der berüchtigten Nacht Opfer von sexuellen Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof und Domplatz. Djeneba Bagayoko war in diesem Zeitraum als Au-pair in Deutschland. Ihr Gastvater soll auch schon vorher immer wieder abfällige Bemerkungen über Migrant:innen gemacht haben. Doch die Kölner Silvesternacht hat dies noch einmal verstärkt. “Ich konnte nicht glauben, dass er so ungezwungen schlecht über Migranten und Muslime mit mir sprach”, erzählt sie. Nicht zuletzt, weil sie als schwarze Frau mit einem Kopftuch offensichtlich beiden Gruppen zugehört, erklärt sie. Anfangs versuchte sie die Kommentare zu ignorieren, sagt sie, doch das Thema kam immer wieder auf. “Du kennst muslimische Männer”, zitierte sie eine der Aussagen ihres Gastvaters. “Ja, das tue ich: meinen Bruder und meinen Vater”, soll Djeneba daraufhin erwidert haben. “Er war verärgert, wenn ich ihm nicht zustimmte”, erinnert sie sich.
“Über Monate hörte ich ihm zu, wie er über Migranten herzog”
Schließlich entschied Djeneba, ihren Gastvater zu konfrontieren. “Ich sagte ihm, dass ich nicht mehr seine Kommentare über Türken, Russen, andere Migranten und Muslime hören möchte”, erzählt sie. “Er reagierte etwas geschockt”, erinnert sie sich. Djeneba ist überzeugt, dass ihn das erste Mal jemand damit konfrontierte, was seine Worte in anderen Menschen auslösen. Einige Tage später, als sie und ihr Gastvater alleine waren, drückte er seinen Unmut über das letzte Gespräch aus. “Er baute sich vor mir auf. Er ist ein riesiger Mann und er schrie mich an”, denkt sie zurück. Nach dem Streit erwog sie, die Gastfamilie zu wechseln oder ihren Au-pair Aufenthalt komplett abzubrechen. Sie entschied sich jedoch aus praktischen Gründen dagegen, so Djeneba. Das Au-pair-Jahr würde in wenigen Monaten schließlich enden. Djeneba meldete sich nach dem Zwischenfall nicht bei AuPairWorld. Sie glaubte nicht, dass sie ihr in dieser Situation helfen könnten.
Eva Liebehentze von AuPairWorld sprach mit uns über Djenebas Erfahrungen und ihr Unternehmen. Liebehentze konnte für Djeneba Bagayoko keinen Eintrag in ihrer Datenbank finden, jedoch konnte Djeneba uns einen Nachweis über ihren Schriftverkehr mit AuPairWorld vorlegen.
“Der Kulturaustausch ist ein Kernelement des Grundgedanken Au-pair”, sagt Liebehentze. Au-pairs sollten wie eine Tochter oder ein Sohn auf Zeit wahrgenommen werden und nicht als günstige Arbeitskraft, erklärt sie weiter. Gastfamilien und Au-pairs bekennen sich zu diesem Grundgedanken, wenn sie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von AuPairWorld akzeptieren. “Da kann man noch so viele Infos auf der Webseite haben.” Doch die Kunden müssten diese auch lesen, so Liebehentze. Sie bedaure, dass Djeneba sich nicht mit ihren Problemen an AuPairWorld gewandt hat. Der Kundensupport hätte den Kontakt zur Gastfamilie aufgenommen und versucht, als Mediator zu vermitteln. “Wir, mit über 20 Jahren Erfahrung, haben auch schon viel miterlebt”, fügt sie hinzu. Wenn die Differenzen unüberbrückbar sind, empfiehlt sie, die Gastfamilie zu wechseln, auch wenn es sich nur noch um wenige Wochen handelt.
Jenna Abrahams, vom Anfang dieses Beitrags, hat den Wechsel gewagt. Sie fand eine neue Gastfamilie über Facebook, die für den nächstmöglichen Zeitpunkt ein neues Au-pair suchte. Da sich die Südafrikanerin bereits in Frankreich aufhielt, lud die potentielle Gastfamilie Jenna zu einem Besuch ein. Jenna machte sich vor Ort einen Eindruck von der Familie und der neuen Umgebung. Während ihres Besuchs lebte das vorherige Au-pair noch bei der Familie. Das gute Verhältnis, das ihre Vorgängerin mit den Gasteltern zu haben schien, machte sie zuversichtlich. “Ich habe mich von Anfang an eingebunden gefühlt”, erinnert sie sich. Nach dem Besuch war sie überzeugt, dass sie nach dem Wechsel die Au-pair-Erfahrung haben könnte, die sie sich wünschte. Jenna lebt mittlerweile seit drei Monaten glücklich mit ihrer neuen Gastfamilie. In einem YouTube Video teilt sie ihre Erfahrungen mit dem Wechsel und ermutigt andere Au-pairs, es ihr gleichzutun.
Nach dem Wechsel kann Jenna sich endlich den Menschen und der Kultur widmen, die sie mit ihrer Reise kennenlernen wollte. Einige kulturelle Unterschiede fielen ihr bereits auf. Jenna erzählt, dass sie darüber verwundert war, wie selbstverständlich Wangenküsschen bei Begrüßungen dazugehören. “Und sie essen alles! Hasen, Frösche, Schnecken”, sagt sie lachend. “Ich glaube, es gibt nichts, was sie nicht essen”, fügt sie hinzu. In einem nüchternen Ton sagt Jenna schließlich: “Mir ist klar geworden, dass jeder individuell ist. Es gibt sehr wenige Dinge, die ich Franzosen kollektiv zuschreiben kann.”