Thailand – Dass dort die Uhren anders als in Deutschland ticken, musste Laura Konrad während ihres freiwilligen sozialen Jahres schnell feststellen. Knapp sieben Monate arbeitete die damals 19-Jährige in einem kleinen Bergdorf als Lehrerin. Über das thailändische Lebensmotto „Sabai, Sabai” und die Vorurteile der Einheimischen gegenüber Europäer:innen spricht sie im Interview mit 23 Grad.
Von Marc Ebling
Laura Konrad ist 22 Jahre alt und Studentin. Die angehende Lehrerin begann im September 2019 ihr freiwilliges soziales Jahr, musste dieses jedoch im März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie vorzeitig abbrechen. Während ihrer Zeit im thailändischen Bergdorf Ban Nong (nahe der Großstadt Chiang Mai), lebte die Rheinhessin in einer Holzhütte auf dem Schulcampus.
Warum hast du dich damals für ein freiwilliges soziales Jahr entschieden und wie bist du auf Thailand gekommen?
Konrad: Mein FSJ ist damals über die Kirche zustande gekommen, da zu der Zeit viele meiner Freunde über die Gemeinde ein Auslandsjahr gemacht haben. Ich wollte einfach mal raus aus meinem gewohnten Umfeld und habe dann verschiedene Programme zur Auswahl bekommen. Ursprünglich wollte ich nach Amerika gehen, aber die Frau von der Organisation hat es geschafft, mich für Thailand zu begeistern. Sie hat mich gefragt: „Wärst du bereit ohne Strom zu leben, ohne fließendes Wasser auszukommen und ein ganz neues Leben kennenzulernen? Oder willst du in die USA?” Da wäre es mir schon irgendwie peinlich gewesen, mich für die bequeme Option USA zu entscheiden, weshalb ich mich dann der Herausforderung – Thailand – gestellt habe.
Was wusstest du über Thailand und welchen Eindruck hattest du vom Land, bevor du hingereist bist?
Konrad: Ich hatte auf jeden Fall einen positiven Eindruck, da mein Onkel mit einer Thai verheiratet ist und ich auch schon ein bisschen über das Land wusste. Zum Beispiel, dass die Menschen zwar arm, aber mega zuvorkommend und gastfreundlich sind, es dort richtig schöne Landschaften und natürlich auch gutes Essen gibt [lacht].
Wie hast du dich auf die Reise vorbereitet?
Konrad: Ich habe versucht, die Basics der thailändischen Sprache zu lernen. Das hat aber zugegebenermaßen nicht so gut funktioniert. Ansonsten war ich bei zwei Vorbereitungsseminaren, bei denen ich die anderen Freiwilligen kennengelernt habe und wir auf die thailändische Kultur vorbereitet wurden.
Was waren deine Aufgaben vor Ort?
Konrad: Offiziell war ich als Assistenzlehrkraft angestellt, aber in der Praxis hab ich alleine als Englischlehrerin gearbeitet.
Hast du nur eine bestimmte Klassenstufe unterrichtet und wie alt waren deine Schüler so im Durchschnitt?
Konrad: An der Schule waren Kinder von der ersten bis zur zwölften Klasse, aber mir wurden eher die älteren Jahrgänge zugeteilt. Insgesamt habe ich Schüler aus der vierten, sechsten und der zehnten bis zwölften Klasse unterrichtet.
Das ist aber schon eine große Bandbreite. Wie war das für dich, sich den verschiedenen Sprachniveaus anzupassen?
Konrad: Ehrlich gesagt, war das schon ein wenig stressig. Die Jüngeren konnten im Prinzip gar kein Englisch und ich nur maximal drei Wörter Thailändisch. Da war das Chaos natürlich vorprogrammiert. Ich habe dann versucht, viel mit Bildern und Liedern zu arbeiten, was meiner Meinung nach recht gut funktioniert hat.
Wie sah das bei den älteren Jahrgängen aus? Ist dir da das Unterrichten leichter gefallen?
Konrad: Definitiv! In jeder Klasse gab es mindestens ein bis zwei Schüler, die schon richtig gutes Englisch gesprochen haben und bei Bedarf auch für die anderen übersetzt haben. Da konnte ich dann auch mehr mit dem Lehrbuch arbeiten und musste mir weniger selbst ausdenken. Allerdings war das bei den Ältesten schon etwas komisch, weil manche Schüler fast genauso alt wie ich waren. Ich glaube, da haben mich einige Jungs nicht immer so ernst genommen.
Hattest du vor deiner Reise Vorurteile gegenüber Thailänder:innen, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben?
Konrad: Ich hätte jetzt nicht gedacht, wie fortschrittlich es in den Bergdörfern zugeht. Das hat mich wirklich positiv überrascht. Ich nehme mal die Technik als Beispiel: Dort hat jeder ein Smartphone mit Internet. Sie schauen richtig viele TikToks und wissen Bescheid über das, was im Westen so abgeht.
Und umgekehrt? Hast du während deiner Zeit Vorurteile wahrgenommen, die die Thailänder:innen gegenüber dir oder Europäer:innen im Allgemeinen hatten?
Konrad: Ja, schon. In der thailändischen Sprache gibt es ein eigenes Wort für Europäer. „Farang”, so heißt das Wort; ist schon ein bisschen negativ behaftet. Ich wurde jetzt nicht schlecht behandelt oder so, aber es wurde nie gesagt: „Nimm mal Laura mit”, sondern immer nur „Nimm mal die Ausländerin mit”. Das war schon irgendwie nicht so cool. Ich glaube, viele Einheimische denken, dass die meisten weißen Urlauber nur mit ihrem Geld protzen wollen und die Prostituierten vor Ort ausnutzen. Generell haben die Karen [Bergvolk aus dem Norden Thailands] uns für richtige Schlampen gehalten und gedacht, dass wir mit jedem vögeln, bis wir umfallen.
Wenn das mal keine Vorurteile sind … Lass uns wieder über das Thema Austausch reden. Hast du dich mal mit deinen Schüler:innen über die Unterschiede zwischen Europa und Asien ausgetauscht?
Konrad: Auf jeden Fall! Wir haben oft über Europa gesprochen und die Kinder haben viele Fragen über Deutschland gestellt, wie bei uns die Städte aussehen usw. Ich glaube schon, dass viele von ihnen den Traum haben, mal nach Europa zu kommen und sich Länder wie Deutschland anzuschauen. Insgesamt hatte ich aber den Eindruck, dass sie ihre eigene Kultur cooler finden und jetzt nicht direkt in Europa leben wollen.
Was ist der größte Unterschied zwischen Deutschen und den Thailänder:innen, die du kennengelernt hast?
Konrad: Es ist mehr als nur ein Klischee: die Pünktlichkeit! Uns wurde vom ersten Tag an gesagt, dass das thailändische Lebensmotto „Sabai, Sabai” ist. Das heißt übersetzt: „Sehr bequem” oder einfach „chill”. Zu den Unterrichtsstunden bin ich meistens zehn Minuten später hingegangen und habe manchmal trotzdem noch eine halbe Stunde alleine im Klassenzimmer gesessen. Zuerst dachte ich, dass es mit meiner Rolle als Assistenzlehrerin zusammenhängen würde, aber bei den anderen Lehrern war das nicht anders. Noch schwieriger als an die Unpünktlichkeit konnte ich mich an die fehlende Planung der Thais gewöhnen. Mir wurde nie gesagt, was abgeht, was mir die ein oder andere Überraschung beschert hat.
An einem Tag bin ich ganz normal in die Schule gegangen. Normalerweise waren immer circa 500 Leute auf dem Gelände, aber an dem Tag war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Ich dachte erst, dass ich den Feueralarm überhört hätte und habe mir Sorgen gemacht. Was war los? Die ganze Schule hatte an dem Tag ein Sportfest an einem anderen Ort und mich hatten sie vergessen mitzunehmen, geschweige denn, es mir zu sagen. Das beschreibt die thailändische Planung ganz gut, glaube ich.
Was hat dir persönlich das Jahr in Thailand gebracht?
Konrad: Gerade die letztgenannten Punkte haben mir echt gezeigt, wie deutsch ich eigentlich bin (lacht). Den Optimismus und die Gelassenheit der Thais finde ich nach wie vor sehr beeindruckend. Mit dieser Art zu leben, wirst du in Deutschland schnell als Hippie abgestempelt. Zu sehen, dass es auch funktionieren kann, wenn man das Leben anders lebt als wir es in Deutschland tun, fand ich sehr cool und interessant zu sehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
5 Fakten zu Thailand
– Bis 1949 (mit einer kurzen Unterbrechung von 1939 bis 1946) lautete der offizielle Name des Landes „Siam”.
-Der Name „Thailand“ bedeutet in der einheimischen Sprache „Prathet Thai“ – das „Land der Freien”. Thailand ist das einzige Land in Südostasien, das nie von einer europäischen Nation kolonialisiert wurde.
-Der international bekannte Energy-Drink Red Bull hat seinen Ursprung in Thailand. Bei einem Besuch 1982 machte der Österreicher Dietrich Mateschitz Bekanntschaft mit dem thailändischen Getränk „Krating Daeng” („roter Ochse“), das ihm dabei half, seinen Jetlag zu überwinden und importierte daraufhin den Energie-Drink nach Europa.
-Thailand verfügt über eine Fläche von 505.370 km² und ist damit ungefähr so groß wie Spanien.
-Von den fast 70 Millionen Einwohner:innen Thailands leben circa eine Million in Bergdörfern.