2019. Ein Freiwilligendienst in Peru. Eine 19-Jährige reist nach ihrem Abitur in den globalen Süden. Maya Fleischer spricht mit uns von 23 Grad über ihre Erfahrungen und die stetig mitschwingenden Vorurteile, dass manche Reisende nur ihr schädliches Helfersyndrom in Entwicklungsländern ausleben wollen.
Von Nicole Nieland
Costa Rica, Afrika oder Australien. Soziale Freiwilligendienste kann man so gut wie überall absolvieren. Wie kam es, dass du nach Peru gereist bist und dort etwas bewegen wolltest?
Maya: Ich bin nicht mit der Einstellung nach Peru gereist, dort etwas zu bewegen oder zu verändern, sondern einfach um Erfahrungen zu sammeln, ein fremdes Land kennenzulernen, einfach eine neue Kultur. Ich wollte wirklich auch mal über Monate im Ausland leben, ein Land so kennenlernen wie die Menschen vor Ort. Da war der Freiwilligendienst eine gute Möglichkeit für mich, mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu kommen und auch Einblicke in die Soziale Arbeit eines anderen Landes zu bekommen.
Dass es ausgerechnet Peru geworden ist, hat sich so ergeben. Meine damalige Spanischlehrerin hat mich auf einen lokalen Verein aus meiner Gegend, Main-Spessart für Peru e.V. , aufmerksam gemacht, der in Peru soziale Projekte fördert, eben auch Freiwilligenarbeit. Die Projekte haben überwiegend den Fokus auf Bildungs- und Jugendarbeit. Ich habe den Freiwilligendienst in einer Förderschule für Kinder mit Trisomie 21 und Autismus gemacht. Dann gibt es aber auch Projekte, die Nachmittagsbetreuung anbieten für Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Schichten.
Welche Aufgabe durftest du in der Förderschule “Sagrada Familia” übernehmen in Trujillo?
Maya: Es ging um schulische Dinge, in meinem Fall aber meistens eher um spielerische und sportliche Betreuung mit den Kindern. Ich war dann in einer Klasse und habe mit der Anleitung der Lehrerin quasi die Kinder beschäftigt und betreut. Wir haben das ABC und Zahlen geübt, aber die autistischen Kinder waren beispielsweise in ihrer eigenen Welt versunken. Deswegen waren es kleinere Spiele, Aktivitäten und Bastelsachen. Aber alles immer zusammen mit der Lehrerin. So Sachen wie Essen machen, Klogänge begleiten usw. gehörten auch dazu. Es gab viele tolle Feste, Schul- und Sportveranstaltungen, auch traditionelle Feste, bei denen die Schule aktiv war, so hab ich kulturell auch noch etwas mitbekommen.
Kam es vor Ort zu einem Austausch? Konntest du etwas von den Menschen dort lernen? Und wie sah es umgekehrt aus?
Maya: Es kam sehr oft zu einem kulturellen Austausch. Ich habe viel über die Feste und Traditionen vor Ort erfahren und es kam natürlich in dem Kontext immer wieder die Frage auf: “Und was habt ihr in Deutschland so für Traditionen und Kulturen?” Es waren einfach Kleinigkeiten – konnte auch mal nur mit dem Kochen zu tun haben, oder mit dem Bus fahren. In Peru gibt es zum Beispiel keine Bushaltestellen und keine Busfahrpläne – aber es funktioniert trotzdem. Es ist cool zu sehen, dass andere Wege auch zum gleichen Ziel führen.
Das führt mich auch direkt dazu, was ich gelernt habe. Vieles auf jeden Fall! Zum Beispiel einfach eine entspannte Gangart zu haben. Es muss nicht immer alles im Leben genau geplant sein, es kommt manchmal sowieso ganz anders. Und das ist auch gar nicht schlecht, wenn man mal spontan ist und improvisieren kann.
Ob die Leute vor Ort etwas durch mich gelernt haben, das weiß ich nicht. Das war aber auch nie wirklich mein Ziel. Also durch den Freiwilligendienst und die Arbeit mit den Kindern in der Förderschule hab ich tatsächlich vor allem viel über mich selber gelernt. Was mir wichtig ist und wo die Reise später in meinem Leben mal hingehen soll.
Welche Begegnungen haben dich in Peru geprägt?
Maya: Zwei Begegnungen haben mich sehr geprägt, mit den Personen habe ich auch immer noch engen Kontakt. Eine war schon relativ früh am Flughafen in Peru, als ich in Lima, der Hauptstadt, angekommen bin. Ich hatte noch einen Inlandsflug in den Norden Perus und hatte schon 20 Stunden Reisezeit hinter mir, als es plötzlich hieß, dass der Flug wahrscheinlich gecancelt wird. Da war ich etwas aufgelöst und auch mit meinen noch nicht so guten Sprachkenntnissen in Spanisch etwas den Tränen nahe. Und dann hat sich mir die nette Peruanerin Virginia angenommen und hat mir geholfen, mir alles erklärt und mich getröstet. Sie war so herzlich und gastfreundlich. Zudem kam später dann noch raus, dass sie an dem Abend tatsächlich auch noch eine Unterkunft für mich gebucht hatte, für den Fall der Fälle, dass eben dieser Flug ausfällt. Letztendlich sind wir dann noch geflogen, aber wie viel sie mir an Gastfreundschaft, Vertrauen und Herzlichkeit entgegengebracht hat … das ist mir sehr in Erinnerung geblieben!
Generell ist mir genau das in Peru immer wieder aufgefallen, diese Herzlichkeit und Gastfreundschaft, davon können wir uns sicher in unseren Breiten eine Scheibe abschneiden.
Noch eine zweite Begegnung, mit einer Venezolanerin, Andrea, die mit ihrer Familie nach Peru geflohen ist, aufgrund der aussichtslosen Krisensituation in ihrem Heimatland Venezuela. Wir kommen aus zwei verschiedenen Kulturkreisen, Lebensverhältnissen und haben verschiedene Muttersprachen. Was mich am meisten beeindruckt hat, ist, dass es nie ein Thema zwischen uns war. Gerade im Gegenteil – diese Unterschiede haben wir genutzt um uns über politische und gesellschaftliche Themen, unter andem auch die Krisensituation in Venezuela, auszutauschen. Da ist dann wirklich eine tolle Freundschaft entstanden. Wir sind bis heute in einem sehr engen Kontakt.
Peru gilt als Entwicklungsland mit großen Unterschieden zwischen Armut und Reichtum. Wie haben die Menschen das vor Ort wahrgenommen?
Maya: Explizit danach gefragt habe ich nicht, aber es gibt auf jeden Fall diese großen Unterschiede. Diese herrschen zwischen den Städten und dem Leben auf dem Land. Gerade auf dem Land leben die Menschen meistens noch in einfacheren Hütten, wo Mensch und Tier nah beieinander wohnen. In der Stadt gibt es diese armen Ecken, auch dort, wo ich gewohnt habe. Da sieht man eben auch ganz einfache Häuser, in denen es nicht immer Elektrizität gibt. Aber auch große moderne und teurere Häuser sind in den Städten zu sehen. Ich glaube diese Unterschiede sind den Menschen bewusst. Selbst wenn sie auch sehr wenig haben, sind sie wahnsinnig gastfreundlich.
Gab es sensible Themen, bei denen du Ablehnung oder Konflikte herausgehört hast, da du selbst aus einem reichen Land des globalen Nordens kommst?
Maya: Es gab keine Ablehnung oder Konflikte, viel mehr Neugierde. Neugierde über das Land Deutschland, aus dem ich komme. Tatsächlich wollte ich dem Ganzen so gut es geht aus dem Weg gehen. Es kamen immer wieder so Fragen wie: “Wie teuer ist denn deine Reise, wieviel hat dein Flug gekostet?” Und am besten dann noch umgerechnet in peruanischer Währung. Der Flug war sowieso schon teuer, ich habe aber auch dafür gearbeitet. Aber hätte ich das dann wirklich umgerechnet, wäre das in der peruanischen Währung Soles eine immense Summe gewesen und für viele Menschen dort unvorstellbar. Ich wollte auch nicht diese krassen Unterschiede dadurch hervorheben. Den Menschen vor Ort war es ohnehin bewusst, aber ich muss ja nicht noch mehr Salz in die Wunde streuen, wie man so sagt.
Was denkst du: Braucht es Entwicklungshilfe oder sollten sich die Länder zurückziehen, um Peru die Chance zu geben, sich selbst zu regenerieren?
Maya: Ich denke, dass ein Land oder die Leute vor Ort immer am besten wissen, was sich verändern sollte, kann oder muss. Sie wissen am ehesten, wo etwas fehlt und wenn es zu staatlicher Unterstützung von außen kommt, ist es meiner Meinung nach wichtig, dass es vorher einen intensiven Dialog zwischen beiden Seiten gibt. Und ganz wichtig: auf Augenhöhe. Finanzielle Hilfe allein ist, denke ich, schwierig in einem Land wie Peru, in dem Korruption leider weiterhin eine Rolle spielt.
Kritiker beäugen Abiturient:innen, die als Helfer:innen ins Ausland reisen als “schädliches Helfersyndrom von dem Völker nichts haben”. Wie stehst du zu solch einer Kritik?
Maya: Die Kritik ist sehr wichtig. Das Phänomen des White Saviorism, wie es auch genannt wird, ist auch ein Thema, über das mehr diskutiert werden sollte. Gerade wenn es darum geht, dass junge Menschen aus dem globalen Norden in südliche Länder reisen, um mit der Einstellung “Ich möchte da jetzt was bewegen und helfen” einen auf Weltverbesserer machen. Das ist eine ganz, ganz kritische Einstellung meiner Meinung nach. Das ist der komplett falsche Ansatz. Solche Menschen sollten sich vielleicht erstmal mit der postkolonialen Verantwortung auseinandersetzen. An sich spricht nichts gegen Helfen. Unterstützung und Hilfe in allen Ehren, aber man sollte sich immer dessen bewusst sein: Helfen kann nicht immer direkt etwas Gutes bewirken, es könnte auch zu schlechten Konsequenzen führen. Und gerade wenn junge, unausgebildete Menschen direkt nach dem Abitur in fremde Länder reisen und dann auch noch in sozialen Projekten mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, ist das auf jeden Fall sehr, sehr schwierig. Da sollte man immer vor Ort erstmal mit den Menschen sprechen. Wird die Freiwilligenarbeit überhaupt in irgendeiner Form gebraucht? Wenn ja, wie? Vor Ort sind die Menschen besser ausgebildet und wissen, wo genau es drauf ankommt. Gerade kurze Freiwilligendienste sehe ich sehr kritisch. Es braucht Zeit, um vor Ort selbst als Freiwillige anzukommen, sich mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut zu machen. Stichwort Kulturschock, aber eben auch erstmal sich gegenseitig kennenlernen. Eine richtige Einweisung in die Arbeit ist auch wichtig. Man ist dort als Praktikant und nicht als der helfende Retter aus dem Norden.
Meiner Meinung nach sollte diese “Rettende-Helfer“-Einstellung direkt abgelegt werden. Man ist vor Ort in einem fremden Land zu Gast. Es sollte der Fokus vielmehr auf den kulturellen Austausch gelegt werden. Verständigung zwischen Menschen aus verschiedenen Ländern, zwischen verschiedenen sozialen Kulturkreisen und Schichten sollte dabei gefördert werden. Und vor allem sollte man auch einen Austausch in die andere Richtung haben, von Süd nach Nord. Der sollte viel öfter stattfinden, gefördert und unterstützt werden.
Was würdest du anderen raten, die ebenfalls einen Freiwilligendienst im globalen Süden antreten möchten?
Maya: Als allererstes Mal sollte man sich über seine Beweggründe klar werden. Vielleicht manche Einstellungen nochmal überdenken: Warum mache ich das, gehts mir darum Erfahrung zu sammeln, ein anderes Land kennenzulernen? Oder geht es vielleicht darum, den Lebenslauf aufzuhübschen oder sogar die Einstellung etwas im globalen Süden zu verändern. Das sollte man auf jeden Fall kritisch hinterfragen, weil man ist ja schließlich nur Gast in dem Land und meistens unausgebildet.
Seid neugierig, offen gegenüber anderen Traditionen und Gepflogenheiten. Ihr solltet nicht zu sehr auf den eigenen Prinzipien und Traditionen von Zuhause beharren. Neue und kulinarische Dinge zu probieren gehört dazu, man darf ruhig auch mal nein sagen, sollte aber offen für alles sein und diese Bereitschaft aufzeigen. Ich rate stark davon ab, auf solche Angebote zurückzugreifen, die kurze und vor allem teure Freiwilligendienste anbieten. Da schlagen meistens die Vermittler-Organisationen der Dienste sehr viel Profit raus, aber bei den Menschen vor Ort kommt davon kaum etwas an.
Fünf Fakten über Peru
– Die Kartoffel stammt ursprünglich aus dem heutigen Südperu
– Die Landfläche von Peru entspricht 3,6 m al der Größe von Deutschland
– Fast 90 Prozent aller Alpakas weltweit leben in Peru
– In Peru gibt es die längsten Surfwellen, sie können bis zu vier Kilometer lang werden.
– Vinicunca ist ein Berg in Peru, der aufgrund seiner mineralogischen Zusammensetzung sieben verschiedene Gesteinsfarben hat